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„Nein, das ist meins“ … Kinder und das Teilen!

Du bist mit Deinem zweijährigen Kind auf dem Spielplatz und es ist konzentriert am Spielen mit seinen Förmchen, ein anderes Kind kommt dazu und möchte die gelbe Plastikente haben, eines von mehreren Tierförmchen, die Dein Kind besitzt.

Dein dreijähriges Kind hat eine Tüte Gummibärchen von seiner Oma geschenkt bekommen und sitzt mit Dir an der Bushaltestelle. Die Nachbarin mit ihrer Tochter kommt dazu und das Nachbarskind möchte auch welche abhaben.

Genau jetzt gehen wir als Erwachsene häufig davon aus, dass unser Kind seine Förmchen oder seine Gummibärchen teilt. In beiden Fällen möchte Dein Kind aber nicht teilen. Wir bitten unser Kind deshalb erst freundlich und dann vielleicht ein bisschen auffordernder sein Spielzeug oder etwas von den Süßigkeiten abzugeben. Oft wird das Kind jetzt ungehalten und beginnt verbal seinen Unmut kundzutun. Uns Eltern ist eine Situation wie diese meist unangenehm und wir sind deshalb häufig bemüht, unser Kind zum Teilen zu bewegen.

Doch ist das richtig?

Kinder müssen das Teilen erst lernen!

Teilen ist keine angeborene Fähigkeit, es ist eine soziale Kompetenz, die erst erlernt werden muss. Seinen „Besitz“ zu verteidigen ist hingegen ein natürlicher und auch angeborener Instinkt, der die Menschheit seit Jahrtausenden am Überleben hält. Das Teilen gehört zu den prosozialen Verhaltensweisen, zu denen auch das Trösten und das Helfen gehören, wobei sich das Teilen als das letzte dieser drei entwickelt.

Für kleinere Kinder unter 18 Monaten (Zeitangaben verwende ich nur sehr vorsichtig, weil jedes Kind sehr unterschiedlich ist – ist eher ein Richtwert) hat „Meins“ und „Deins“ noch keinerlei Bedeutung. Das sieht man besonders wenn ein Kleinkind einen Gegenstand in der Hand hält und es ihm genommen wird. Das Kind schaut zwar interessiert nach dem Gegenstand, es macht aber noch keinerlei Anstalt es verteidigen zu wollen. Die Kinder geben in diesem Fall den Gegenstand kommentarlos zurück.

Dinge als „sein eigenes“ zu deklarieren tritt meist ab einem Alter von ca. 18 Monaten auf. Alles was sie gerade in der Hand halten wird als „Meins“ bezeichnet, genau dieses muss festgehalten werden, man weiss ja nicht, ob man es wieder bekommt.

Der Grund warum Kleinstkinder einen Gegenstand haben wollen, mit dem ein anderes Kind gerade spielt kann verschieden Gründe haben. Beispielsweise beobachten sie ein anderes Kind beim Spielen mit Kochlöffeln, die so herrlich knallen, wenn man sie aneinanderschlägt und genau diese Erfahrung wollen sie auch machen. Sie entwickeln so interessante Spielideen auf die sie allein gar nicht gekommen wären. Hier geht es also gar nicht darum diese Löffel zu besitzen.

Andere Kinder sehen ein Kind, dem sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, weil es eine, für die Kinder, besonders begehrenswerte Sandschaufel hat und so möchten sie mit dem Besitzen dieser Schaufel auch an die Aufmerksamkeit der anderen Kinder kommen – und sie gehen davon aus, dass sie durch den Gegenstand auch an das Gefühl von Freude, „gesehen werden“, besonders zu sein teil haben können. So geht es oft nicht vorrangig um den Gegenstand selbst, sondern ein Bedürfnis, was sich Kinder damit erfüllen möchten.

Sind Kinder in einem Alter von ca. 18 Monaten bis ca. sechs Jahren allein unter sich, sind bei ca. 40% der Jungen und Mädchen sogar Schlagen und Schubsen das gewählte Mittel, um das zu bekommen, was sie haben wollen. Eltern, Großeltern und auch Betreuungspersonen sind jetzt gefragt um als Schlichter einzugreifen.

Wir Erwachsenen dürfen den Kindern auf jeden Fall die Möglichkeit geben, Konflikte unter sich zu lösen, denn sie sind oft in der Lage die Sache unter sich zu klären. Trotzdem können Situationen entstehen, in denen unser Begleiten unerlässlich ist und das ist der Fall wenn Kinder sich gegenseitig schlagen, hauen, an den Haaren ziehen und es eben gewaltvoll lösen wollen.

Wir sind beim Teilen wie in allen anderen Lebenssituationen auch Vorbilder, denn Kinder schauen sich ab wie wir uns als Erwachsene verhalten. Gehen wir beispielsweise mit dem Besitz anderer nicht gut um oder nehmen wir ungefragt Dinge, die uns nicht gehören wird es schwer sein, dem Kind zu vermitteln welches Verhalten für ein gesundes Miteinander sinnvoll sein kann. Allerdings sollte es nicht als Erziehungsmittel eingesetzt werden, in dem Sinne, dass ich als Erwachsener besonders darauf achte zu teilen, DAMIT das Kind das auch tut, denn Kinder schauen sich auf jeden Fall eine Unmenge von uns ab, wir wissen jedoch nicht was und wann.

Erfüllte Bedürfnisse machen das Teilen leichter..

Werden die Bedürfnisse von Babys und Kleinkindern befriedigt, so sind sie ausgeglichener und das Teilen fällt ihnen leichter. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass genug da ist und sie in ihren Bedürfnissen gesehen werden. Geben sie ihrem Kind zu essen, wenn es hungrig ist und nehmen Sie es auf den Arm, wenn es weint. Lassen Sie ihr Kind nicht schreien und nicht mit sich allein. Dies erklärt sich eigentlich von selbst, denn nur wenn unser Bedürfnistank aufgefüllt ist, sind wir in der Lage zu geben.

Es gibt außerdem noch weitere Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit Kinder neurologisch überhaupt in der Lage sind etwas zu teilen bzw. abzugeben.

Dazu gehört hauptsächlich die Empathiefähigkeit!

Empathie, also das Einfühlen in die Sicht von jemand anderen, entwickelt sich erst ab ca. 4 Jahren. Davor sprechen wir nicht von Empathie. Das Kind „versteht“ davor noch nicht warum Teilen auch ein Gefühl von Freude, Zusammengehörigkeit und Verbindung auslösen kann und es demnach etwas Erfüllendes für einen selbst sein kann.

Doch auch Kleinkinder unter 4 Jahren geben manchmal Dinge ab, und zwar, weil sie es so gesehen haben und es nachmachen. Sie haben es sich also von uns abgeschaut, Anna ihr Kuscheltier zu bringen, wenn sie weint. Das hat in dem Alter aber noch nichts mit wirklichem Einfühlen (Empathie) zu tun, sondern mit reinem Nachahmen von Verhalten. Das mag vielleicht als nicht so wichtig erscheinen, aber wenn’s ums Teilen geht ist es eine sehr fundamentale Erkenntnis. Kleine Kinder sind also gehirntechnisch noch gar nicht in der Lage zu verstehen warum sie das Lieblingsauto Tom zurückgeben sollen, wenn sie noch gar nicht spüren können, dass es Tom nicht gut geht wenn er sein Auto nicht haben darf. Kleinkinder sind noch sehr mit sich selber beschäftigt und stehen vehement für sich ein. Wahrzunehmen wie es anderen gehen könnte kommt erst viel später – und wenn wir ehrlich sind gibt es auch genügend Erwachsene, die sich noch immer mit Empathiefähigkeit schwertun.

Außerdem, und nun kommen wir zu einem weiteren sehr wichtigen Punkt, der beim Teilen eine Rolle spielt, ist die Tatsache, dass Kleinkinder sich sehr schwer tun umzuplanen. Man kann sich das so vorstellen, dass ein Kleinkind eine Idee im Kopf hat z.B. es sieht die tollen Bausteine und möchte unbedingt damit spielen. Es hat also eine konkrete Vorstellung davon WAS es machen MÖCHTE. Wenn das allerdings aus einem bestimmten Grund nicht geht, bereits ein anderes Kind damit spielt vielleicht, dann kann es sein, dass das Kind mit einem „Systemzusammenbruch“ reagiert. Es hat diese eine Idee im Kopf, die es nicht umsetzen kann und weiß plötzlich keine Alternative was es noch machen könnte oder wie es die Situation noch lösen kann. Das ist das gemeine in diesem Alter, dass Kindern schlicht Alternativen fehlen und das nicht weil wir sie darin nicht begleiten und diese anbieten würden, sondern weil ihr Gehirn mit einer Emotionsüberflutung in solchen Situationen reagiert und die Kinder so in ihren Gefühlen von Wut, Frust, Verzweiflung gefangen sind, dass sie gar nicht mehr in der Lage sind Alternativen sehen zu können. Außerdem kommen sie nur schwer wieder selbst raus aus diesem Gefühlssturm, Co-Regulation ist also gefragt.

Nicht das Auffordern zu Teilen, fördert das Teilen, sondern die Erfahrung seine liebsten Gegenstände behalten und auch verteidigen zu dürfen, trägt dazu bei, dass Kinder mit der Zeit auch von Herzen teilen können.

Fordern wir unsere Kinder immer wieder zum Teilen auf, können sie sich dadurch  übergangen fühlen, werden in ihrem Sicherheitsbedürfnis nicht gewahrt und Verlustängste können das Verhalten der Kinder in Zukunft beeinflussen. Denn wenn ich Angst haben muss, etwas, was mir viel bedeutet, zu verlieren bzw. hergeben zu müssen, dann ist die natürliche Reaktion es am besten gar nicht mehr aus der Hand zu geben und es vehement zu verteidigen. Dein Kind darf und soll die Erfahrung machen, sein Spielzeug verteidigen und auch für sich allein behalten zu dürfen.

Stellt man sich vor, wir als Erwachsene fahren mit unserem neuen Sportwagen vor und unser Nachbar verlangt von uns diesen auch sofort fahren zu dürfen oder wir sitzen in unserer Lieblingsbar bei einer Latte Macchiato, plötzlich kommt jemand an unseren Tisch und verlangt ein paar Schluck davon abzubekommen. Im Grunde ist es für das Kind doch eine ähnliche Situation.

Erst im Laufe der Zeit, Stück für Stück, können Kinder immer wieder die Erfahrung machen, dass Teilen etwas Erfüllendes sein kann. Und so wird es kommen, dass Kinder auch diesen Entwicklungsschritt meistern, ganz ohne Druck, Zwang oder Manipulation – darauf dürfen wir auf jeden Fall vertrauen.

Birgit Zöggeler

Zertifizierte Familien- und Elternberaterin, selbst Vierfachmama und Tagesmutter, Bloggerin, Dorfkind aus Südtirol!

Birgit mit Tochter